Erfolgsmessung in Projekten kann den Boden bereiten für eine umfassende, konsistente Kommunikationssteuerung. Unser Gast ist Joachim Zdzieblo, der für das Münchener Traditionsunternehmen Wacker Chemie AG ein Projekt im Bereich Corporate Social Responsibility gedreht hat – mit einem intuitiv gestarteten, aber schlussendlich umfassenden Kommunikations-Controlling.
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Zdzieblo leitet bei der Wacker Chemie AG die Abteilung Public Affairs & Business Services und koordiniert dort unter anderem das gesellschaftliche Engagement. WACKER stellt seit über 100 Jahren chemische Produkte her, exportiert in über 100 Länder und ist im MDAX notiert. Als studierter Humanbiologe ist Zdzieblo offen für alles, was mit Messung, Daten und Nachweisen zusammenhängt. Er sagt, Naturwissenschaftler würden davon leben, Dinge auszuprobieren und dann die Beobachtung festzuhalten und Messungen durchzuführen. Daher liege ihm das Thema Performance Measurement mit dem Testen und Herausarbeiten von Befunden. Eingestiegen ist er mit einem einzelnen Projektbaustein.
Ein Projekt mit wenig Resonanz
Als Zdzieblo bei WACKER angefangen hat, gab es dort das Projekt Schulversuchskoffer mit Experimenten für den Chemieunterricht, der Lehrern kostenlos zu Verfügung gestellt wurde. Er wollte wissen, wie der Koffer genutzt wird und schrieb 2000 Schulen an mit der Bitte, einen Evaluationsbogen auszufüllen. Zurück kamen 60 Bögen. Angesichts dieser Resonanzquote von nur 3% stand fest: der Koffer wird offensichtlich zu wenig genutzt.
Eine Bestandsaufnahme ergab, dass der Koffer 35 Versuche beinhaltete und eine beschreibende Broschüre von über 100 Seiten. Die Lehrer hätten sich alles in ihrer Freizeit erarbeiten müssen. Das Team von Zdzieblo reduzierte die Zahl der Versuche auf 8 und arbeitete sie so um, dass die Schüler die Versuche selber durchführen können, mit mehr Material, Arbeitsblättern und guten Grafiken.
Außerdem war die Bedingung für den Erhalt des Koffers nun, dass die Lehrer einen halbtägigen, für sie kostenfreien Kurs belegen und dort die Versuche selbst in einem Laborpraktikum durchführen mussten. Erst dann erhielten sie den Koffer. Damit sollte es für sie so einfach wie möglich werden, die Experimente mit den Schülern durchzuführen.
Kennzahlen: wissen, was zu ändern ist
An dem Koffer-Projekt waren auch Chemiedidaktiker beteiligt – Professoren, die künftige Lehrer ausbilden. Eine erste Evaluation bestand darin, dass alle Versuche, die aufgenommen werden, zunächst an Schulen, in Chemieklassen, getestet und für den Unterricht optimiert wurden. Zdzieblo hatte einen Beitrag über strategische Kommunikationssteuerung und das Wirkungsstufenmodell des Fachkreises Kommunikations-Controlling im Internationalen Controller Verein (ICV) gelesen. Er wollte mehr wissen, wurde Mitglied und entwickelte anhand der Impulse aus dem Fachkreis gemeinsam mit einer Kollegin Kennzahlen, die beschreiben, wie der Koffer genutzt wird. Eine davon ist immer noch der Rücklauf an Evaluationsbögen und der Materialverbrauch. Chemische Materialien, die im Koffer sind, können nur gegen ausgefüllte Evaluationsbögen nachbestellt werden. Die Grundausstattung im Koffer reicht durchschnittlich für hundert Schüler, d.h. nach ca. drei Schuljahren muss ein Lehrer, der den Koffer regelmäßig nutzt, das eine oder andere Material nachbestellen.
„Diese Zahl der Nachbestellungen, die Menge der Nachbestellungen, die Nachbestellquote ist für uns ein ganz starker Marker, ob der Koffer in der Schule auch eingesetzt wird. “ Joachim Zdzieblo
Im Evaluationsbogen wird abgefragt, welche Versuche besonders häufig benutzt werden und wo es Verbesserungspotential gibt. Dadurch kommt direktes Feedback ins Projekt, für Neuauflagen und Überarbeitungen. Das ist alles, was die Lehrer an Ressourcen aufwenden müssen. Die Nachfüll-Materialen sind ebenfalls kostenlos.
Gemessen wird außerdem die Zahl der Interessenten, die Zahl der Kurse, die Zahl der Teilnehmer pro Kurs, die Zahl der geschulten Lehrer, die Zahl der abgesagten Kurse und die der vermittelten Kurse. Die Lehrerfortbildungen führt die Gesellschaft Deutscher Chemiker durch und ausgewählte Universitäten mit Chemiedidaktik-Lehrstühlen.
Das Set von Kennzahlen hilft den Prozess sicherzustellen, zu steuern und zu optimieren. Sie zeigen, ob in der Vorstufe genug Interessenten nachkommen und wie sich die Teilnehmerzahlen entwickeln, letztendlich also, wie gut das Projekt angenommen wird.
Über Ziele eingebunden in die Unternehmensstrategie
Jedes Projekt in der Unternehmenskommunikation muss auf das Unternehmen und seine Ziele einzahlen. Bei WACKER gibt es zehn sogenannte strategische Demographieziele. Vor allem geht es um Nachwuchsförderung angesichts einer älter werdenden Belegschaft. Eines der Ziele ist das gesellschaftliche Engagement im Hinblick auf die frühzeitige Förderung des naturwissenschaftlichen Interesses, und vor allem darauf zahlt der Koffer ein.
Außerdem folgt Zdzieblo der Hypothese, dass sich Menschen für einen naturwissenschaftlichen Beruf im Bereich Chemie nur begeistern lassen, wenn sie selbst schon Experimente durchführen konnten. Also ist ein qualitatives Ziel, junge Menschen zum Experimentieren zu bringen und Schulen dabei zu unterstützen. WACKER ist ein klassisches B2B-Unternehmen, Material wird ausschließlich an andere
Industrieunternehmen verkauft. Schulen sind also kein Absatzmarkt und müssen durch den Koffer keine Einflussnahme fürchten. Im Fokus steht nicht die Markenbildung, sondern es geht darum, Schüler für einen Ausbildungsberuf oder Studium im Bereich Chemie zu interessieren. Momentan ist die Zahl der Berufsanfänger bei WACKER, die mit dem Chem2do-Koffer in Berührung gekommen sind, noch sehr gering. Aber auch diese Kennzahl wird in der Personalabteilung abgefragt, steht also am Ende der Wirkungskette.
Für wen das alles?
Die Vorgesetzten in der Unternehmenskommunikation interessiert vor allem, ob und wie der Koffer genutzt wird, ob das Projekt die Ressourcen und das Geld wert ist, das hineinfließt.
Das Team sieht dagegen Erfolge schnell an den Messergebnissen. Der Besuch einer Bildungsmesse zum Beispiel, begleitet von einer Presseinformation oder einem Gutschein im Messeheft, wirkt sich auf die Kennzahlen aus. Wenn 500 Lehrer kommen und man danach die Kursanmeldungen steigen sieht, macht das Spaß und motiviert, sagt Zdzieblo.
Momentan sinken allerdings alle Kennzahlen – die Schulen waren geschlossen, es gab Blockunterricht, und Chemielehrer können keine Versuche mit 30 Schülern durchführen. Dank der Messerfahrungen wird Zdzieblo aber nicht nervös, weil er aus Erfahrung weiß, wie schnell sich das ändern kann.
Das Projekt hat Auszeichnungen bekommen, z.B. den Schulewirtschaft-Preis. Solche qualitativen Marker kann man nicht dauerhaft erwarten oder planen. Auch Anfragen für Fachartikel über in Chemiedidaktik-Publikationen oder Bitten, einen Teil der Inhalte der Lehrerhandreichung in Schulbücher mit aufzunehmen, sind qualitative Marker, an denen man sieht, dass das Projekt bei der Zielgruppe ankommt.
Der zusätzliche Aufwand für die Messung ist für Zdzieblo schwer zu schätzen. Zunächst ist vor allem Zeit und Kraft nötig, um zu überlegen, was man überhaupt messen will, welche Marker den Erfolg bestätigen können. Die Entwicklung des Kennzahlensets ist Teil des laufenden Betriebs und ist nicht mehr so aufwändig. Überall stehen die Budgets für Sachkosten und Personal unter Druck, da ist es nicht unproblematisch, dass Ressourcen in so ein rein philanthropisches Projekt fließen. Tatsächlich wurde ein anderes, größeres Projekt in dem Themenkreis naturwissenschaftlicher Unterricht bei WACKER beendet, weil es nicht stark genug auf die Ziele einzahlte. Beim Schulversuchskoffer dagegen konnte mit dem Kommunikations-Controlling nachgewiesen werden, dass er erfolgreich ist und auf die Unternehmenswerte einzahlt.
Im Team zusammen mit Vorgesetzten und unterschiedlichen Kommunikationsverantwortlichen herrscht eine gute Gesprächsatmosphäre, um faktenbasierte Entscheidungen zu treffen und zu steuern. Auch in anderen Bereichen wird gemessen, so gibt es ein sehr komplexes Balanced Score Card System für die Messepräsenzen des Unternehmens, quantitative und qualitative Medienbeobachtung und -auswertung. Mit dem Schulversuchskoffer wurde dagegen versucht, eine Messung und Steuerung über alle Wirkungsstufen aufzubauen, um zu zeigen, wie ein strategisches Kommunikationsmanagement aussehen kann. Und das kam im Team gut an.
„…es hätte auch sein können, dass dieser Koffer einfach nicht zu retten ist… Ja, das ist auch ein Ergebnis, dann stampft man das Projekt halt frühzeitig ein und lässt es nicht noch zehn Jahre weiterlaufen. Auch negative Kennzahlen … kann man nutzen für eine Lernerfahrung und sagen okay, Personalressourcen, Sachkostenbudget stecke ich in andere Themen rein.“ Joachim Zdzieblo
Drei Tipps für den Start
• Sich als erstes über die eigenen Ziele klar werden: was will ich erreichen? Qualitativ, vielleicht auch quantitativ.
• Dann überlegen, was könnte es für Kennzahlen geben, die den Erfolg oder die Zielerreichung bestätigen. Dabei kann man auch auf sein Bauchgefühl zurückgreifen.
• Schließlich einfach dann mal mit einem Set von Kennzahlen anfangen, das überschaubar ist und anhand dessen das Projekt gesteuert werden kann. Manchmal reichen drei KPIs, es müssen nicht fünfzehn sein. Also: wirklich klein anfangen, ganz viel beruht einfach auf gesundem Menschenverstand.
Das Projekt Schulversuchskoffer zeigt, wie erfüllend es sein kann, wenn man sich nicht zu große Dinge vornimmt, sondern mit einem Projekt startet, bei dem man den direkten Bezug und alle Auswirkungen sieht. So kann man sich dem Thema Kommunikations-Controlling nähern, damit spielen und schauen, was funktioniert, um sich danach inspirieren zu lassen, das auf andere Projekte zu übertragen. Und irgendwann kann man das große Dach drauf zu setzen. Aus dem Entwickeln einer Hypothese, dem Überprüfen durch Messungen und Fakten und dem Beschreiben von Befunden entsteht damit ein fundiertes Instrument, das hilft den eigenen Erfolg und Selbstwirksamkeit zu erfahren. Indem man Measurement als eine Art Spiel begreift und die KPIs als einen Gesprächsanlass. Man kann durchaus klein anfangen.
- Schulversuchtskoffer CHEM2DO®
- Wirkungsstufenmodell der DPRG und des Fachkreises Kommunikations-Controlling in Internationalen Controller Verein (ICV)
Über Joachim Zdzieblo
Joachim Zdzieblo leitet die Abteilung Public Affairs & Business Services im Zentralbereich Unternehmenskommunikation der Wacker Chemie AG. Zu seinen Aufgaben zählen unter anderem die Koordination des gesellschaftlichen Engagements des MDAX-Konzerns, die Nachhaltigkeitsberichterstattung, Stakeholderbefragungen und Reputationsanalysen sowie Sonderprojekte wie den Relaunch des weltweiten Intranets. Davor verantwortete der Humanbiologe als Pressesprecher Produkt- und Gesundheitspolitikkommunikation des Pharmaunternehmens GlaxoSmithKline in Deutschland.